Der Traum von Waris

….. endet auf dem Rollfeld

Flüchtlinge in Lippe: Der 20-jährige Afghane ist vor einem Beratungsgespräch im Rathaus Extertal festgenommen und in seine Heimat geflogen worden.
Die Landeskirche und das ökumenische Forum für Flüchtlinge fordern einen Abschiebestopp

LZ: DONNERSTAG 4. MAI 2017

Abschiebung: Das Bild zeigt eine Maschine, die von München aus nach Kabul startet. Auch Waris Wafa aus Extertal und ein weiterer Landsmann aus Lippe sind jetzt ausgeflogen worden. FOTO: DPA/MATTHIAS BALK

VON ASTRID SEWING
Kreis Lippe. Waris Wafa hat ein Ziel vor Augen gehabt: Der junge Mann wollte in Deutschland leben. Sportlich hatte er Anschluss gefunden, in einem Cricketteam in Borgholzhausen. Untergebracht war er in Exter-tal. Doch am Montag, 24. April, endete der Traum.
Wafa, der zu einem Beratungsgespräch ins Extertaler Rathaus gebeten worden war, wurde von der Polizei abgeführt. Seine Mannschaftskollegen erfahren durch die LZ, dass Wafa in Kabul gelandet ist. Der 20-Jährige und ein weiterer Afghane aus Lippe sind von München aus abgeschoben worden.
Nach Auskunft der Gemeinde Extertal war man dort selbst überrascht, als die Polizei Wafa in Gewahrsam nahm. Der junge Mann sei zum Gespräch gebeten worden, weil er mehrfach betont hatte, er wolle arbeiten. Und diese Gelegenheit wollte ihm die Gemeinde in einem Freibad, das für die Saison vorbereitet werden sollte, auch bieten.

Integration vorbei: Waris Wafa, der Cricket gespielt hat, ist am 24. April nach Kabul abgeschoben worden.

FOTO: GABY LINDEMANN

Wafa meldete sich an dem Montag nur noch einmal bei einem Freund mit der Nachricht, der Flug gehe gleich, dann brach die Verbindung ab, bis heute gibt es kein Lebenszeichen. Gaby Lindemann, die die Sportler in Borgholzhausen betreut, ist sehr besorgt, denn sie hat den jungen Afghanen als „bescheidenen, sehr schüchternen jungen Mann kennengelernt, der sich sehr bemüht hat, Deutsch zu lernen“.
Nach Informationen der LZ hat Waris Wafa 2015 einen Asylantrag gestellt, der durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber abgelehnt wurde – nicht, weil er straffällig gewesen wäre. Ab dem 19. Januar 2016 war er ausreisepflichtig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) setzte eine 30-tägige Frist für eine freiwillige Ausreise, die Wafa verstreichen ließ. Afghanistan ist eines der Hauptherkunftsländer von Schutzsuchenden, die nach Deutschland kommen. 2015 beantragten 127.000 von ihnen Asyl. Doch nur jeder Fünfte wurde als Flüchtling anerkannt– dafür muss eine individuelle Verfolgung drohen; die Herkunft aus einem Kriegsland reicht nicht aus. Weitere 35,6 Prozent erhielten den schwächeren subsidiären oder den Abschiebeschutz, weil zwar keine Verfolgung, aber Gefahr für Leib und Leben bestand. Weil es seit August 2016 ein Abkommen mit der afghanischen Regierung über die Rückführung gibt, werden weniger Asylsuchende anerkannt und es können mehr abgeschoben werden (siehe Kasten). Für die, die sich um die Menschen gekümmert haben, bleiben viele Fragen offen. „Ich bin mir sicher, dass er gar nicht verstehen konnte, was da von ihm verlangt wurde. Er stammt aus sehr ärmlichen Verhältnissen“, sagt Gaby Lindemann. Erst im September wandte sich Wafa an einen Anwalt.

Doch da sind die Fristen längst verstrichen. Einzig bleibt die Möglichkeit, die drohende Abschiebung aus humanitären Gründen auszusetzen. Waris Wafa ist auf der Flucht von seinen Eltern getrennt worden, er weiß nicht, wo seine Familie lebt.
Doch der Einwand zog nicht, denn die Sicherheitslage in Afghanistan wird durch das BAMF anders eingeschätzt. Das Amt unterhalte das Informationszentrum Asyl und Migration, in dem die Stellungnahmen aller relevanten Gutachtens- und Auskunftsstellen über die Verfolgungssituation in den Herkunftsländern der Asylbewerber ausgewertet würden. Demnach gebe es in Afghanistan sichere Regionen. Welche das sind, teilt das BAMF allerdings nicht mit.
Die Herkunftsländer-Leitsätze seien als Verschlusssache eingestuft und nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt.
Für Pfarrer Dieter Bökemeier, den Flüchtlingsbeauftragten der Lippischen Landeskirche, ist die Sammelabschiebung von Afghanen nicht hinnehmbar. Die Erfahrungen belegten, dass staatliche Institutionen mit der Aufnahme und dem Schutz der Rückgeführten völlig überfordert seien. Bökemeier sieht den Bund und das Land NRW in der Pflicht. „Schleswig Holstein hat einen Abschiebestopp verhängt, das fordern wir auch.“ Das Ökumenische Forum Flüchtlinge in Lippe hat deshalb eine Petition auf den Weg gebracht, die 1705 Bürger unterschrieben haben.