Ein Land in Trümmern

Immer wieder Zielscheibe für Terror.

Das Bild vom 10. Mai zeigt ein beschädigtes Gebäude, aufgenommen am Tag nach einem Selbstmordanschlag im Zentrum von Kabul.

LZ: FREITAG 25. MAI 2018

GASTBEITRAG: Der in Detmold lebende Journalist Dor Mohammad Mobram schreibt über die Situation in seiner Heimat und fordert eine andere Afghanistan-Hilfe Detmold. Vor dem Hintergrund, dass auch derzeit Soldaten aus Augustdorf in Afghanistan Dienst tun, haben wir den afghanischen Journalisten Dor Mohammad Mobram gebeten, einmal die Situation im Land aus seiner Sicht zu schildern.

Hier seine Einschätzung:
Afghanistan ist fast doppelt so groß wie die Bundesrepublik, hat aber weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt mit dem niedrigsten Entwicklungsniveau. Gleichzeitig ist es ein kompliziertes Land, das sich am meisten mit Krieg beschäftigt. Historisch gesehen ist Afghanistan etwa alle 50 Jahre mindestens einmal ruiniert, aber nicht wiederaufgebaut worden. Das Land hat im Laufe seiner Geschichte 13 mal gegen die mächtigsten Länder der Welt gekämpft und große Verluste erlitten. Aus der ethnischen Perspektive heraus ist wichtig, dass Afghanistan nicht von einem normalen Entwicklungsprozess profitieren konnte. Chinesische Einflüsse aus dem Osten, slawische aus dem Norden und indische Einflüsse aus dem Süden bilden ein historisches Dreieck für die Vielfältigkeit der Ethnien in diesem Gebiet. Es ist kein Zufall, dass 50 bis 200 verschiedene ethnische Gruppierungen und mehr als 47 verschiedene Sprachen mit rund 190 Dialekten in dieser Region existieren.

Afghanistan hat geografisch eine große Bedeutung. Westliche Historiker haben das Land als militärisches und wirtschaftliches Durchgangsland bezeichnet – ob als Teil der Seidenstraße in der Antike oder neutrale Fläche zwischen den Atommächten China, Russland, Iran, Pakistan und Indien in der Gegenwart – Afghanistan stand immer unter der Beobachtung der Großmächte.

Der 11. September hat ein neues Kapitel eröffnet: Das des Kampfes gegen den Terrorismus. Mit rund 120.000 Soldaten aus 47 Ländern unter Führung der USA wurde damit begonnen. Anfangs wurden gute Erfolge erzielt: Die Taliban wurden niedergeschlagen, und Afghanistan in Richtung Demokratie ausgerichtet. Aber die Demokratisierung Afghanistans und der Wiederaufbau wurden vornehmlich militärisch betrachtet. Die Länder, die sich im Afghanistan-Konfliktdirekt oder indirekt beteiligten, bestehen aus drei Gruppen: Einige haben ein direktes oder indirektes Interesse an Afghanistan und dessen Gebiet, wie die USA, manche westliche Verbündete sowie China und Russland. Das Interesse dieser Länder ist unterschiedlich: Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau, Vernichtung des Terrorismus in dieser Region und geostrategische Interessen sind die Beispiele dafür. Andere wie einige alte und neue Nato-Mitglieder sind teilweise aus humanitären Gründen, teilweise aus Solidarität mit den Hauptländern in Afghanistan präsent.
Die letzte Gruppe will Sympathien gegenüber den Mächtigen der Welt zeigen und ihren eigenen Einfluss in der Region stärken: Pakistan, Iran, Saudi-Arabien und manche andere Länder sind in den Afghanistankonflikt involviert, mitunter unterstützen sie direkt oder indirekt bewaffnete Gegner der afghanischen Regierung.

Unterschiedliche strategische Ziele, unterschiedliche Interessen und Arbeitsweisen, aber auch eine uneinige Strategie der afghanischen Regierung und ihre schwache Kooperation mit der Weltgemeinschaft haben das Land in eine chaotische Situation gebracht. Terror, Korruption und Drogenhandel bedrohen es vor allem. Krieg und Instabilität haben die Netzwerke des Terrorismus aufgebaut, Terrorismus und Fundamentalismus zusammengebracht. Das hat internationale Folgen. Der Terrorismus in Afghanistan hat den Drogenhandel auf internationaler Ebene entwickelt, der wiederum in ein korruptes System verwickelt ist.

Königspalast
Vorher, nachher: Der Königspalast in Kabul vor dem jahrzehntelangen Krieg und heute. FOTOS: DOR MOBRAM

Die Regierung in Afghanistan ist instabil und weit weg von der Unterstützung des Volkes. Die „Regierung der Nationalen Einheit“ trägt tiefe Konflikte in sich. Rund 60 Prozent des Landes werden durch Gegner der Regierung, besonders durch die Taliban, kontrolliert. Das Land ist stark gespalten, und es herrscht dort überwiegend An-archie und Korruption. Aber die Afghanen sind selber die Hauptakteure für die inneren Angelegenheiten des Landes. Sie müssen die Fäden des Wiederaufbaus in die Hand nehmen und die Entscheidungen selbst treffen. Militärische Konfrontationen und militärische Indoktrination der jungen Generation ist nicht die Lösung des Problems des Landes.

Aber externe Faktoren spielen auch eine große Rolle. Ohne Unterstützung aus dem Ausland könnten die Netzwerke des Kriegs und des Terrors im Land nicht aktiv sein. Afghanistans Konflikt ist ein regionales Problem, das die Regierung allein nicht bewältigen kann. Ein Dialog über das Thema Afghanistan in Afghanistan durch Afghanen ist der erste Schritt für einen erfolgreichen Prozess in diesem Konflikt. In der ersten Phase sollten die Repräsentanten der Regierung, aller Parteien, der religiösen und ethnischen Gruppen zusammenkommen, um in Form einer neuen „Loya Jerga“ einen nationalen Konsens auszurufen, eine Waffenruhe in Kraft zu setzen und für die nationale Aussöhnung und Gleichberechtigung der Afghanen und die Gleichberechtigung aller zu werben. Sie sollten sich auf eine Übergangsregierung einigen und freie Wahlen vorbereiten sowie beschließen, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten und stattdessen einen Weg für Dialog freizuhalten.

In einer regionalen Konferenz müssten Länder wie Pakistan, Iran, Türkei, China, Russland, manche ehemalige GUS-Länder und Indien die Entscheidungen der Nationalversammlung in Afghanistan unterstützen und den militärischen Support der afghanischen Gruppen einstellen. Die nationale und regionale Debatte braucht eine internationale Unterstützung auf breiter Basis unter Führung der UN und unter Beteiligung der islamischen Konferenz und anderer wichtiger Länder wie den USA.

Mit einer gemeinsamen Resolution sollte die Weltgemeinschaft den Waffen-Export nach Afghanistan stoppen und humanitäre Hilfe garantieren.
Sie muss akzeptieren, dass Afghanistan nicht militärische, sondern ökonomische und humanitäre Hilfe braucht und die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden dürfen.

Persönlich:
Dor Mohammad Mobram lebt seit 1999 mit seiner Familie in Detmold. In Afghanistan war er zuvor als Journalist mit den Schwerpunkten Politik und Militär für ein Magazin in der Hauptstadt Kabul tätig. Er ist Vorsitzender des afghanischen Kulturvereins. (te)